• Astrid Freiffau von Luttitz (1919 - 2011) - Fotografin & Reisejournalistin

Normandie

 

Reiseführer Michelin, Sternfahrten Frankreich, Guide bleu und Schann (Normandie-Bretagne), ist der Schwann für eine kürzere Reise entschieden die beste und handlichste Unterstützung. Der Prospekt des französischen Touristenbüros „Normandie“, den ich beifüge, ist mit Vorsicht zu gebrauchen. Die Lobeshymnen sind durchaus nicht immer gerechtfertigt. Die ortsansässigen Touristenbüros sind hilfsbereit und zeichnen sich gleichzeitig durch verblüffende Unkenntnis aus.

 

Die Normandie ist eine Landschaft, die sich nicht unmittelbar anbietet und nicht auf Anhieb „unvergessliche Eindrücke“ hinterlässt. Man muss sich bemühen das Wesentliche zu entdecken. In der jetzigen Jahreszeit dürfte die an sich so blühende, farbige und fruchtbare Landschaft von so viel Nässe und Nebel überdeckt sein, dass diese „Tristesse“ sicherlich nicht den besten Eindruck vermittelt. Immerhin hat die entlaubte Welt den Vorteil, dass die sehr interessante Architektur und die Fülle schöner Bauten, die vielfach hinter dichten Hecken und Parkanlagen versteckt sind, sich nun schneller offenbaren. Als Landkarte ist die Foldex-Karte 1/25oooo zur Gesamtübersicht notwendig, ansonsten die kleinen Michelin-Karten 52,54,55 und 59 unentbehrlich.

 

Literatur ist knapp. Unter den zeitgenössischen Dichtern ist der jetzt wohl schon 80jährige Normanne Jean de La Varande, dessen Romane  in der Normandie spielen, wahrscheinlich am bedeutsamsten. Ansonsten habe ich mich mit den Schilderungen von Flaubert und Maupassent begnügt und in französischen Buchhandlungen die Bildbände gewälzt, ohne in diesen Sinne später zu fotografieren.

 

Nach vielen unnötigen. Umfahrten ergaben sich aus dem geschichtliche Zusammenhang (die heute noch durchaus nachvollziehbare Grundprägung durch Wilhelm den Eroberer) und den touristischen Attraktionen folgende Schwerpunkte, wobei es ziemlich gleichgültig ist wo die Reise einsetzt:

Palaise

Geburtsort Wilhelms, leidliche, imposante Ruine, am Fuße der Burg, sehr altes Waschhaus, in dem die Wäscherinnen sommers wie winters ihre Wäsche nach den mittelalterlichen Methoden der lieblichen Arlette (Mutter von Wilhelm) behandeln und sich gern in ein Gespräch über Land und Leute verwickeln lassen. Von Palaise aus Ausflugsfahrten in die „Normannisehe Schweitz, etwa Clecy und Pont d’Ouilly wo im August die Rochus-Wallfahrt stattfindet, die einen letzten Schimmer von Folklore ahnen lässt.

Caen

Durch den Krieg sehr zerstört, jedoch sind die wichtigsten Kirchen erhalten die mit Wilhelm und seiner Mathilde im Zusammenhang stehen. Sehr schön auch St.Pierre,dessen Turm das Vorbild für den berühmten Kreisker in der Bretagne wurde. In der Umgebung von Caen liegen zahlreiche kleine romanische Dorfkirchen mit sehr schönen Kapitellen. Figürlicher Schmuck ist in der Normandie selten. Unbedingt aufsuchenswert ist Thaon. Die kleine romanische Dorfkirche liegt ausser halb des Ortes in einem Wald »in einem verlassenen Sumpfgebiet. Das einst dazugehörende Dorf wurde etwa vor 15o nach Pestepedemie zerstört.Es steht nur noch ein Haus, der Besitzer hat den Schlüssel ( und wartet auf Trinkgeld). Das Mittelschiff mit großartigen frühromaaischen Säulen ist später ummauert worden,die Seitenschiffe fehlen.

Baveux

Neben der Kathedrale (über deren Stilentwicklung man streiten kann, sehr interessant die romananischen Details, die Krypta mit Engelspfeilf und das Marienfresko lks.vom Altar) befindet sich im ehemaligen Bischofspalast der Teppich.Ich glaube es ist das einzige Museum der Welt,das nur einen einzigen Gegenstand ausstellt,für den man viele Stunden zum Betrachten benötigt! Der Teppich entspricht einer Bildreportage, wie sie auch heute nicht exakter, anschaulicher und drastischer geschildert werden könnte. Da es in jener Zelt absolut unmöglich war bildliche Darstellungen von unreligiösen Motiven zu geben, wächst die Bedeutung des Teppichs über das historische Geschehen um die formale Wiedergabe hinaus. Beachtlich sind die Kleinigkeiten, die man verhältnismässig leicht übersieht und die Lebenslust, Humor und kulturelles Niveau verraten. (z.B. der unrasierte Bischof am Sterbelager Eduards,die Leichenfledderer,die ehelichen Freuden nach der Trennung des Kriegszuges,die Genüsse der Tafelfreuden nach der Beute,die lachenden Fferde im offenen Boot usw.). Hinter dem Teppich verblasst der Ort, der aber sehenswert ist, weil vollkommen unzerstört. Eine Besuch bei der alten Madame Friteau, die gleich neben dem Teppichmuseum eine winzige Spitzenschule unterhält und kleinen Mädchen eine handwerkliche Kunst beizubringen versucht,die nur noch traditionellen Wert aber niemals wirtschaftlichen Gewinn haben wird, ist gleichzeitig ein Besuch in die Vergangenheit.

Coutances

Ausgangsgebiet zu Besuchen der herben, an die Bretagne erinnernden Halbinsel Cotentin.Coutances ist wichtig wegen des herrlichen Domes, in dem man die Möglichkeit hat in 1 1/2ständiger Führung in den schwindelnden Höhen der verschiedenen hohen und höchsten Umgänge die Gotik einmal andersrum kennenzulernen. Sehr hübsch auch der botanische Garten (hübscher als wie derjenige der in Avranches gerühmt wird). Im Norden der Halbinsel, also Cherbourg bin ich aus Zeitmangel nicht gewesen, auch wurde mir allgemein abgeraten.

Mont St. Michel

Mein Ratschlag – nicht auf dem Berg wohnen, obwohl es 300 angepriese Betten gibt. Es ist zu teuer und man braucht einen gewissen inneren und äusseren Abstand. Vordem Damm ist es erheblich günstiger. Ich war im August, also im dollsten Touristengewühl da und war von diesem Doppelleben fasziniert. Oben im Kloster – trotz ausgedehnter Führungen durch das „Wunder“ einmal der verblüffende Kontra der romanischen Schwere und gotischen Leichtigkeit und einer unzerstörten Vergangenheit (durch wenige Mönche noch belebt,sehr schön die gregorianischen Gesänge während der Messe).Oben also Stille und Weihrauch, unten im winzigen Städtchen unbeschreiblicher Krach, Touristengewühle, Kitschpropaganda und die Düfte von Crepbratereien. Alles in allem nicht einmal disharmonisch. In diesem Monat haben die gebildeten Patres bestimmt Zeit für ein Gespräch, möglicherweise ist auch die Ausstellung zur Tausendjahrfeier in diesem Jahr, die hauptsächlich den Darstellungen des hl. Michael im franz.Raum gewidmet war noch nicht vollends abgebaut.

Villedieu le Poèles

Auf dem Wege zum Mont St .Michel passiert man das Städtchen Villedieu les Poèles, uralte Kupfertradition, die indes industralisiert wurde. Ausserdem eine kleine aber berühmte Glockengießerei,die ihre Erzeugnisse in die ganze Welt schickt.

Alencon

hat den Ruhm seiner Spitzen, die ich zwar fotografierte, es lohnt sich aber kein Aufenthalt, das wichtigste Gebäude war umrüstet. Zwischen Alencon und Caen, besser noch im Raum von Lisieux liegen im Pays Auge die schönsten und interessantesten Herrenhäuser und Bauernhöfe.Überaus vielseitig im Fachwerk und den Balkenschnitzereien. 7 km von Liseux das kleine Schloß Saint Germain de Livet,das mir als guter Titel erschiene. Ansonsten Coupescartes ist besonders sehenswert und lohnend dem Besitzer, einem bäuerlichen Herrenmenschen, der den ganzen Besitz allein mit seiner Magd bewirtschaftet, einen Besuch zu machen. Er wird sein Haus zeigen, eine höchst interessante Mischung vergangener Pracht (schöne Kachelböden, Renaissancefresken an den Wänden) und heutiger spartanischer Lebensweise.

Benraj

Etwas westlich liegt das Städtchen Benraj . Im Maison de l’Engagiste de la Couronne (Eingang durch ein Schreibwarengeschäft) wohnt in einem äusserst kultivierten Heim der Redakteur der dortigen Ortszeitung, der sich über einen Besuch freut und einem bereitwilligst weiterhilf und die Besonderheiten seiner Stadt zeigt .(Ein Merian-Heft als Gastgeschenk wäre hier am Platze, ich hatte damals nichts bei mir). Er und seine reizende Mutter sprechen aber nur französisch.

Zum Thema Kunst ist der Sohrein des hl. Taurin (12 o) in Evreux erwähnen, und besichtigungswert, da Goldschmiedekunst in Frankreich rar ist. Im schönen, neu erbauten Museum zeigt man einen in der Nähe ausgebuddelten und beachtlichen Jupiter, den ich aber nicht fotografierte. Klassik in der Normandie störte meine Begriffe.

Conches

Wichtig sind die Glasfenster von Conches, gut erhalten und dem Auge erreichbar. Auch die Fenster in Notre Dame von Les Andelys sind beachtlich, besonders das Fenster mit dem an den Füßen aufgehängten Petrus. Allerdings ist die Burgruine von Richard Löwenherz, die zu seinen Lebzeiteiten nie eingenommen wurde,der eigentliche Anziehungspunkt.Man muß im Gelände hoch über die Ruine steigen um die ganze Seineschleife zu über sehen und einen Begriff der strategischen Lage zu bekommen. Als weitere wichtige Ruine an der Seine sei Jumiege genannt,die ebenfalls zum Geschichtsbild von Wilhelm gehört. Bas kleine Museum im Park im ehmaligen Abtshaus, birgt allerlei gute Skulpturen, darunter einen Kopf von Wilhelm und (der Legende nach) von seinem Vater, das Grab von Agnes Sorel und Grabplastik der angeblichen Söhne Chlodwigs, alles aus der ehemaligen Abtei, die erst nach der französischen Revolution zerstört wurde.

Von Jumiegee ist es ein Katzensprung nach Wandrille – ebenfalls Ruine, aber hier leben noch Mönche, die unfreundlicherweise den schönsten Teil ihres Gebäudes den Frauen vorenthaltenl Bei Jumieges setzt man als sparsamer Mensch mit der Fähre über die Seine, was nichts kostet. Überquert man hingegen die Brücke von Fanquarville so kostet jeder Weg mit dem Wagen je 9 HF. Die großartige Konstruktion dieser Brücke erkennt man besser von unten,also vom Seineufer aus  falls schönes Wetter ist). Etretat und Frecamp habe ich zwar besucht und etwas fotografiert, jedoch ist es nicht so wesentlich dass ein Abstecher für die Redaktionsreise lohnt.Es wird jetzt vollkommen tot dort sein  Als Hafen- und Fischerort wird ja auch sicherlich das reizende

Honfleur

vorgestellt, das im Touristenverkehr eine ganz große Rolle spielt und also 2 Gesichter hat. Man kann verstehen,dass es die Maler und Künstler angezogen hat. Boudin ist hier geboren. Das gepriesene Heimatmuseum lohnt keinen Besuch, das Gemäldemuseum war damals geschlossen, hat aber sicher manches wichtige Bild, auch soll es hier viel kluge und schreibfreudige Leute geben,die aber in der Hochsaison geflohen waren. Von Honfleur aus bereist man nun die „Blumenküste“, Deauville und Trouville sind die Perlen, die als mondäne Seebäder gelten wo der Rubel nur so rollt – jetzt mag man nichts davon spüren, wichtig sind hier die täglichen Renner, ein Bild von Dufy darüber erschien mir netter,als ein Foto.

Rouen

Über Rouen zu sprechen erübrigt sich von selbst, es gibt genügend Literatur. Ich hatte mich eigentlich mit der Redaktion dort treffen wollen und die Farbaufnahmen,die da anstanden bisher ausgelassen. So fehlen Gemäldeaufnahmen von Dufy, Pussln, Boudin und evtuell Monet, eventuell eine Aufnahme aus dem Keramikmuseum und Stiche.  Was fehlt ist sicher von Giraudon erstklassig zu bekommen, falls nicht, müßte ich mich zur Not nochmals auf die Socken machen.

An schwarz-weiß Aufnahmen habe ich keine Hafenbilder wie Dieppe, Le Havre, Cherbourg usw. Die Bucht von Arromanehes, so wichtig sie für die Normandie ist (schließlich hat sich auch Wilhelm von Dives aus eingeschifft) ließ sich fotografisch nicht erfassen. Trotzdem ist das ganze Gebiet in der sich die Invasion entwickelte ungemein eindrucksvoll!

Zusammenfassend erscheinen mir also Rouen, Honfleur, Gaen, Bayeux und Mont St.Michel als die wesentlichsten Stationen in der Normandie. Wenn ich zu diesem Heft etwas schreiben könnte, dann möchte ich es immer unter dem Gesichtspunkt tun, was kam der Reisende ähnlich nacherleben. Und so stehen mir drei Themen vor Augen:

– Skizzen über Menschen, die ich traf

– das Doeppelgesicht des Mont St.Michel und

– eine Studie Thost in Honfleur

 

Astrid von Luttitz