• Astrid Freiffau von Luttitz (1919 - 2011) - Fotografin & Reisejournalistin

Komm mit, wir fahren zur Hochzeit

 

Es war September. Der Monat der Heiratslustigen in Rumänien. Wir waren auf dem Weg zu den Klosterkirchen mit der bunten Haut, den Moldauklöstern mit den berühmten Außenfresken. Diese sollten so einmalig schön sein, dass sich eine strapaziöse Autoreise wohl lohnen würde – hatte man uns gesagt.

 

Aus der Ferne sahen wir in der weiten Landschaft nur eine runde Staubwolke, die eilig eine schmale Landstraße entlangrollte. Beim Näherkommen wurde diese Wolke überraschend lebendig. Fröhliches Rufen, das Schmettern einer Trompete und der dünne, ein wenig klagende Ton einer Geige entquollen dieser tönende Staubgewoge. Im Vorüberfahren, das einem kleinen artistischen Manöver glich, erkannten wir geschmückte Pferdeköpfe, lange, blumenumwundene Kerzen, die wie Lanzenspitzen zum Himmel ragten, leuchtende Kopftücher, Steirerhüte und Schaffellmützen.

 

Neugierig hielten wir an – die musizierende Wolke folgte unserem Beispiel. Der aufgewirbelte Staub fiel wie graues Schleiertuch nieder und enthüllte das Bild einer großen, munteren Gesellschaft, die dichtgedrängt auf einem bäuerlichen Leiterwagen saß. Helle und dunkele Augen schauten schon ein wenig „schnapsselig” , obwohl es erst früh am Morgen war ,eine Flasche „Tuika“ machte die Runde, auch wir mussten davon trinken. Wie auf Kommando gaben die Musiker ein von uns reich beklatschtes Extraständchen und dann hieß es “ komm mit, wir fahren zur Hochzeit“ und dabei wurde eine weitausholende, richtungweisende Bewegung mit dem Peitschenstiel gemacht, „drei, vier Kilometer sind es nur noch „.

 

So fuhren wir gemächlich voraus. Im nächsten Dorf vollzog sich gerade eine orthodoxe Messe unter freiem Himmel. Nahe dem provisorischen Altar, der mit Astern und Dahlien geschmückt war, standen lange Tische mit köstlich aussehenden Kuchen, Körben voller Obst, bunten Schüsseln mit verzierten Speisen. Über diese Fülle irdischer Gaben hielt ein kleiner Chorknabe ein uraltes Holzkreuz, auf das Christus in giftigem Grün gemalt war. Ein unvergeßbarer metaphysischer Akzent zwischen Speisen und Blumen, gestickten Trachten und golddurchwirkten, wenn auch verblichenen Priesteromaten. In der Überzeugung, mitten in die Hochzeitszeremonie geraten zu sein, folgten wir aufmerksam den fremdartigen Kulthandlungen, bis wir erfuhren, dass diese Messe dem Gedenken der Verstorbenen galt und die lukullischen Genüsse anschließend von der Dorfgemeinschaft zum Gedenken an ihre Toten verzehrt würden. Wir wurden so herzlich eingeladen daran teilzunehmen, dass wir unsere Hochzeiter vergaßen und schließlich auch noch eine weitere Einladung zu einem Festmahl annahmen, das die Dörfler zu Ehren ihrer Popen gaben, die aus anderen Gemeinden hier zusammengekommen waren.

 

Eine leergeräumte, niedere Bauernstube mit buntgewebten Teppichen an den Wänden nahm uns auf. An langen, aus rohen Brettern zusammengefügten Tischen saßen die Geistlichen und Honoratioren der umliegenden Dorfer. Die Festtafel war reich gedeckt, die Teller bereits mit Speisen hochgefüllt: Paprika und Polenta, Krautrouladen, Hammelfleisch und Geflügel waren übereinander gehäuft. Zwischen jedem Bissen ein ordentliches Schlückchen Pflaumenschnaps, damit alles besser bekommt, das versteht sich! Und wo getrunken wird gibt es Trinksprüche und Gesang. Angesichts dieser Gastfreundschaft musste auch ich eine Rede halten; und wie leicht fließen die Worte dahin, wenn man sich wohl fühlt. Zum Schluss gedachte ich der fleißigen Frauen, die in der nebenan liegenden Küche kochten und brieten und doch nur Zaungäste blieben in ihrem eigenen Heim. Also ein Hoch diesen tüchtigen Köchinnen. Aber welche Lawine hatte ich mit diesem Lobe ausgelöst. Da kamen sie hereingeströmt, die jungen und die alten, diese lieben, zahnlosen Großmütterchen, die nun nicht müde wurden, mich schmatzend zu küssen. Wer hatte sie je im Leben so gewürdigt?

 

Plötzlich ertönte draußen die Musik aus unserer morgendlichen Staubwolke. Stunden waren unterdess vergangen, und nach unseren Begriffen musste die Hochzeit lange vorüber sein. Aber im Osten ist das Land weit und die Zeitbegriffe sind es auch. Der Pope, der unser Hochzeitspaar im nächsten Dorf trauen sollte, saß vorläufig noch fröhlich schmausend zwischen uns. Und die Braut, die nun vorüberzog, hatte noch zwei Kilometer Fußmarsch vor sich, nachdem sie bereits ebenso viele hinter sich gebracht hatte. Keine Braut würde sich ihren Triumphzug nehmen lassen, der darin besteht, festlich geschmückt und geleitet und viel bewundert vorn Heimatdorf in das ihres künftigen Mannes zu wandern.

 

Die dunklen Haare unserer kleinen Braut waren mit Zuckerwasser zu dicken runden locken gedreht und wie eine Krone um den Kopf gelegt. Darüber türmte sich, von bunten Papierblüten gehalten, der Schleier. Aus Papierblumen bestand auch der Brautstrauß, den sie behutsam im Arme trug. Aber wie traurig sah sie aus ! Die schwarzen Kirschenaugen verquollen vom Weinen, so schmerzlich war der Abschied vom Elternhaus gewesen. Das ganze Dorf hatte zugeschaut, wie sie den Eltern die Hand küsste und sich für die gute Erziehung und die Aussteuer bedankte. Diese Aussteuer wurde auf zwei Leiterwagen geladen, die Musikanten stimmten ihre Melodie an, und die jüngeren Geschwister nahmen die Braut an den Händen und führten sie davon. Auf dem Aussteuerwagen, der schrittfahrend den Musikanten und der Braut folgte, saß“ zwischen Kommode und Schrank eine junge Frau, die vorsichtig ein besonderes Aussteuerstück auf ihrem Schoß hielt: einen alten Spiegel, dessen Holzrahmen in frischer grüner Farbe gestrichen war. In diesem Spiegel mochte sich das Leben von Generationen gefangen haben. Nun fuhr er durchs Land, als nehme er ein wenig Urlaub von seinem Spiegelschicksal und sauge sich voll von Himmelshelligkeit und fröhlich ziehenden Wolken, ehe er wieder verurteilt sein würde: in einer anderen dunklen Bauernstube jenem vielschichtigen Menschenleben zuzuschauen7 und zu reflektieren, was sich nach unabänderlichen Gesetzen vnllziehen würde: Liebe und Leidenschaft, Sorgen und Hoffen, Geburt und Tod.

 

Als unsere kleine Braut die Dorfgrenze ihres neuen Heimatortes erreicht hatte, blieb sie zwischen ihrer Sippe geduldig wartend stehen bis in der Feme die uns nun schon bekannte Hochzeitsmelodie aufklang. Von seinen jüngeren Schwestern an den Händen geführt, kam gemessenen Schrittes der Bräutigam daher. Blondhaarig und schüchtern, im hellen Konfektionsanzug mit westlicher Krawatte, auf der in paradiesischer Nacktheit ein weibliches Wesen aufgestickt war. Schon auf große Entfernung hielten sich die hellen und die dunklen Augen der Brautleute fest, versanken ineinander, unbekümmert der zahllosen Zuschauer.

 

Uralt ist die Zeremonie der orthodoxen Hochzeitsmesse, die nun im geheimnisvollen Dunkel der hölzernen Dorfkirche vollzogen wurde. Andächtige, erwartungsvolle Gesichter über den flackernden hohen Hochzeitskerzen. Der Kirchenchor wurde allein vom Küster bestritten, der mit seinem Baby auf dem Arm, das wie ein Brot gebündelt und mit bunten Borten umwickelt war, mit herrlich kraftvoller Erzengelstimme sang. Als der Pope während der feierlichen Handlungen der Brautmesse versehentlich etwas Honig auf die Frauenperson auf der Krawatte des Bräutigams tropfen ließ, lachte erst dieser, dann die Braut, dann die ganze Gemeinde und schließlich der Priester und mir schien es, als lächelten auch die Heiligen aus den Ikonenwänden.

 

Es dämmerte schon, als die Braut im Elternhaus ihres Mannes ihren Einzug hielt. Die Trompeter bliesen aus Leibeskräften, und die lustigen Brautjungfern luden die Aussteuer vom Wagen, indem sie jedes Stück den wartenden Dörflern vorzeigten. So tanzten Kissen und Decken, Stoffballen, Krüge und Töpfe über die Köpfe der Gäste hinweg ins Haus hinein. Als letztes kam der alte Spiegel, in dessem matten Glas wir für kurze Augenblicke-wie ein Bild von Chagall – das lehmgelbe Gesicht eines greisen Geigers erkennen konnten, der mit gichtkrummen Fingern unverdrossen seine Fiedel strich und dabei mit wissenden, schwermütigen Augen über das junge Yolk schaute, das sich nun voller Festtagsfreude keuchend und stampfend im Hochzeitstanz drehte.

 

Astrid von Luttitz