Die Fischerfrauen von Nazaré
„Die Last des Lebens tragen sie auf dem Kopf” sagt man im allgemeinen von den Portugiesinnen, die beinahe alles, was der Mensch nur tragen kann, wie selbstverständlich auf ihrem Kopf balancieren. Wer nun den Fischerfrauen von Nazaré zu schaut, wenn sie sich gegenseitig mächtige Kübel mit Wasser oder Fischen gefüllt, auf den Kopf laden und dann mit ihrem schönen, aufrechten Gang durch den hohen Sand des Strandes tragen, der erfasst schnell, dass die Lasten auf dem Kopf eine Winzigkeit sind gegen die Lasten der Angst, die die Fischerfrauen ständig mit sich herum tragen . Mit Angst schauen sie täglich ihren Männern, Vätern, Söhnen und Brüdern nach, wenn diese ihre großen Ruderboote mit unglaublicher Energie ins Wasser schieben, und sich dann – aufrecht am Ruder stehend – durch die gefährliche Brandung kämpfen, um die weit draußen vor Anker liegenden Fangschiffe zu erreichen. Denn Nazaré liegt in der Mitte einer weitschwingenden Bucht und hat keinen schutzbietenden Hafen.
Der kleine, malerische Fischerort an der Westküste Portugals, nördlich von Lissabon, ist weit über die Landesgrenzen berühmt wegen seiner folkloristischen Eigentümlichkeiten. Und so mischen sich in den kurzen Sommerwochen Scharen von Touristen unter das Fischervolk, das wohl seinen Nutzen daraus zieht, sich aber trotzdem sein Eigenleben bewahrt und die Fremden in unnachahmlicher Art zu ignorieren versteht, auch wenn die Kameras unermüdlich klicken. Den Kamerajägern muss man freilich ihre Jagdlust nachsehen, denn wo gibt es schon noch so reizvoll farbige Bilder im Alltagsleben wie in Hazard. Dort tragen die Männer bei größter Hitze grobe, buntkarierte Wollhemden und andersfarbige, ebenfalls karierte Wollhosen, dazu mächtige schwarze Zipfelmützen über wetterbraunen, zerfurchten Gesichtern. Wie die Korsaren aus dem Märchenbuch kommen sie daher.
Die Mädchen und Frauen haben dieselbe Vorliebe für karierte Wollstoffe, die sie für ihre Blusen und Röcke verwenden. Und sie brauchen ungewöhnlich viel von diesen Stoffen, denn sie tragen sieben verschiedenfarbige Röcke übereinander, die alle am Saum mit bunten Wollspitzen verziert sind. Wenn der Wind zu kalt weht, stülpen sie kurzentschlossen einen Teil ihrer Röcke über den Kopf und wickeln sich darinnen ein, so dass sie wie die wandelnden Glocken aussehen, denn wiegend und schwingend ist auch ihr Gang.
Wenn sie heiraten und Kinder bekommen, legen sie bei jedem Kind einen Rock ab und erscheinen dadurch immer dünner und dunkler, denn später tragen die Fischerfrauen am liebsten ein weites, schwarzes, arabisch wirkendes Cape, in das sie sich, einhüllen, wenn sie am Strand sitzen und auf die rückkehrenden Boote warten.
Solange die Männer auf See sind, fühlen sich die Frauen als Witwen und legen all ihre hübsche farbige Kleidung ab. Deswegen ergibt sich das bezaubernde buntfröhliche Bild nur dann, wenn die Boote, die ebenfalls leuchtend bunt bemalt sind, einlaufen und die Familien nach getaner Arbeit gemeinsam im Sand sitzen.
Man sagt, dass das Leben der Fischersleute bis vor wenigen Jahrzehnten ausschließlich im Sande stattgefunden habe, und dass sie auch heute ihre weißen ,kubischen Häuschen nur als Schutzstätte während der Nacht aufsuchen.
Es ist ein beeindruckendes und erschütterndes Erlebnis den Frauen zuzuschauen, wenn sie reglos Stunde um Stunde im Sande verharren, den Blick zum Meer gewandt – dem Meer, diesem unberechenbaren Partner ihres Lebens, der ihnen das Brot gibt – und auch die Not! Erst wenn in der Ferne die Fischkutter sichtbar werden, verlieren die Augen jenen Ausdruck orientalischer Ergebenheit. Der Blick wird wachsam und spähend bis der Fang in die Ruderboote umgeladen ist und die Männer durch die wildwirbelnde Brandung sich zum Land zurückgekämpft haben.
Wegen des fehlenden Hafens müssen die Boote nun so weit auf den Strand gezogen werden, dass keine Flutwellen sie mehr packen können. Schlagartig werden alle Nazaréner aktiv und packen zu .Mit Ochsengespannen und der Hilfe vieler Hände werden die Boote mit den begehrten „Früchten des Meeres” aus dem Wasser gezogen. Auch wenn die Fischer todmüde sind wird sofort weitergearbeitet. Lastautos bringen die Fische zur Auktionshalle, wo sie sogleich versteigert und dann ins Landesinnere befördert werden. Manche Fischerfrauen ersteigern sich selbst einige Fische, die sie dann privat verkaufen, was sehr lautstark vor sich geht. Für Stunden sind die Schatten der Angst einer fröhlichen Betriebsamkeit gewichen.
Junge Mädchen tragen unermüdlich riesige Wasserbottiche vom Meer zu den in den Dünen liegenden Boote, um diese zu reinigen. Die Netze, die durch die Schuppenfülle silbern glänzen, müssen ebenfalls gereinigt und zum Trocknen hergerichtet werden, damit die später geflickt werden können. Nach jedem Fischfang ist Reparatur notwendig. Bei all diesem Tun schauen die Fremden zu, neugierig und erstaunt, dass in unserem Zeitalter ein solches leben noch möglich ist. In den Zeitungen kann man lesen, dass man fürchtet die Touristen würden die Fischersleute gründlich verderben. Aber das stimmt nur bedingt, denn der Lebensrhythmus dieses Ortes und seiner Bewohner wird ausschließlich vom Meer bestimmt. Von den Gezeiten. Vom Kampf mit der Brandung. Von der Hoffnung auf volle Netze. Der Kampf mit dem Meer ist der Atem der Nazaréner. Wer genügend Geduld aufbringt, der kann diesen Kampf von den Klippen des hochgelegenen Ortsteil Sitio beobachten. Dort oben liegt auch die im 12. Jahrhundert gegründete Wallfahrtskirche “ Nossa Senhora de Nazaré” von der aus am Namenstag der Schutzheiligen der Fischer, eine ergreifende Prozession ihren Ausgang nimmt.
Die buntkarierten Korsaren verwandeln sich in fromme Bittgänger. In dunklen Anzügen mit roten und blauen Umhängen, begleitet von weißgekleideten Mädchen tragen sie die liebevoll geschmückten Figur der Heiligen Jungfrau und des Heiligen Petrus in feierlichem Schweigen am Meer entlang. Die Fischerfrauen säumen den Weg. In der großen Stille ist die inbrünstige Bitte spürbar, dass das Meer ihren Seelen gnädig sei und ihnen reichen Fischfang schenke.
Das uralte Symbol der Christenheit – der Fisch – bekommt in Nazaré neue, tiefe, unvergeßbare Bedeutung.
Astrid von Luttitz